Typhon: Deutschlands neuer Deep-Strike-Boost

Deutschland plant mit dem US-System Typhon den Einstieg in eine völlig neue Kategorie präziser, weitreichender und mobiler Schlagfähigkeiten. Diese Fähigkeit soll die bestehende Lücke zwischen taktischen Raketen und echten Deep-Strike-Systemen schließen – eine Lücke, die durch den Krieg in der Ukraine und Russlands massiven Raketenaufbau sichtbar geworden ist. Typhon dient als Brückenlösung, bis europäische Systeme im Rahmen des ELSA-Projekts verfügbar werden. Für die Bundeswehr markiert dieser Schritt eine deutliche strategische Neuausrichtung.

Typhon: Deutschlands neuer Deep-Strike-Boost
Typhon: Deutschlands neuer Deep-Strike-Boost

Das Wichtigste in Kürze

  • Typhon liefert Deutschland erstmals eine mobile, bodengebundene Langstreckenpräzisionsfähigkeit bis etwa 2.000 Kilometer.
  • Das System verschießt Tomahawk- und SM-6-Flugkörper und deckt damit unterschiedliche Zielprofile und Einsatzszenarien ab.
  • Berlin hat im Juli 2025 einen offiziellen Letter of Request an die USA gestellt – ein Meilenstein im FMS-Beschaffungsprozess.
  • Europäische Alternativen entstehen im ELSA-Projekt, werden aber erst in 7–10 Jahren verfügbar sein.
  • Die größte Hürde sind Produktionskapazitäten: Tomahawk-Stückzahlen bleiben niedrig, Lieferzeiten lang.

Was macht das Typhon-System für Deutschland strategisch so wichtig?

Typhon schließt Deutschlands Fähigkeitlücke bei weitreichenden, bodengebundenen Präzisionsschlägen und bietet mit Tomahawk und SM-6 eine sofort verfügbare Deep-Strike-Option, bis europäische Systeme entwickelt sind. Es stärkt die Abschreckung, erhöht die operative Flexibilität und ermöglicht mobile, schwer angreifbare Langstreckenwirkung.

Warum Typhon jetzt für Deutschland relevant ist

Der russische Angriffskrieg hat deutlich gezeigt, dass Europa bei weitreichenden Präzisionswaffen eine gefährliche Lücke hat. Während die Bundeswehr luftgestützte Systeme wie den Marschflugkörper Taurus besitzt, fehlen bodengestützte Lösungen nahezu vollständig. Genau hier setzt Typhon an. Es erweitert die Fähigkeit der Bundeswehr, Ziele weit hinter der Front mit hoher Präzision zu bekämpfen. Die politische Dimension ist dabei nicht zu unterschätzen.

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Der am 14. Juli 2025 eingereichte Letter of Request zeigt den Willen Deutschlands, diese Lücke schnell zu schließen. Boris Pistorius betont zwar die defensive Nutzung, doch allein der Besitz solcher Reichweiten wirkt abschreckend. Zudem ist die Entscheidung ein Zeichen, dass Deutschland im Rahmen der NATO Verantwortung übernimmt. Schließlich zeigt der Schritt, dass Berlin realisiert hat, wie wichtig Deep-Strike-Fähigkeiten im modernen Gefecht sind.

Was hinter dem Typhon-System technisch steckt

Typhon wurde als landgestützte Mid-Range Capability entwickelt und nutzt Marine-Technologie, die sich über Jahre bewährt hat. Herzstück ist das Mk-41 Vertical Launching System, das zusammen mit einer landgestützten AEGIS-Gefechtsführung in Container-Launcher integriert wurde. Diese Container sind auf Lkw-Zugmaschinen montiert und damit hoch mobil.

Eine Standardbatterie besteht aus vier Launchern, einem Batterie-Operationszentrum und Versorgungsfahrzeugen. Dies erlaubt eine flexible Verlegung und schnelle Einsatzbereitschaft. Mit insgesamt 16 VLS-Zellen pro Batterie erreicht Typhon eine beeindruckende Feuerdichte. Hinzu kommt die geringe Aufklärbarkeit, die das System schwer angreifbar macht. Die Integration in Multi-Domain-Operationen wurde von Beginn an mitgedacht. Damit kann Typhon in zukunftsorientierte Gefechtskonzepte eingebunden werden, die Geschwindigkeit und Verteilung in den Fokus stellen.

Tomahawk und SM-6 als komplementäre „Wirkkerne“

Besonders interessant ist die Fähigkeit, zwei sehr unterschiedliche Lenkflugkörper einzusetzen. Der Tomahawk bietet Reichweiten zwischen 1.600 und über 2.000 Kilometern und fliegt extrem tief, was seine Aufklärung erschwert. Er eignet sich ideal zur Bekämpfung hochwertiger Bodenziele wie Führungsbunker, Radarstellungen oder Flugplätze.

Der SM-6 dagegen ist ein extrem schneller Feststoffflugkörper und wurde ursprünglich zur Luftabwehr entwickelt. Heute kann er jedoch Schiffe, Luftziele und Bodenziele treffen. Seine Reichweite liegt zwischen 240 und etwa 460 Kilometern, möglicherweise auch darüber. Diese Kombination macht Typhon zu einem Baukasten für flexible Einsatzszenarien. Während der Tomahawk tief in gegnerische Infrastruktur wirkt, kann die SM-6 mobile oder maritime Ziele bekämpfen. Dadurch erhält die Bundeswehr erstmals eine modulare Deep-Strike-Fähigkeit.

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Entwicklung, Stationierung und deutsche Rolle

Die Entwicklung begann 2020 nach dem Ende des INF-Vertrags. Die USA nutzten vorhandene Marinekomponenten, um schnell ein serienreifes System zu entwickeln. Schon 2022 erhielt die US Army die erste Batterie, 2023 erreichte eine Multi-Domain Task Force vorläufige Einsatzbereitschaft. Typhon wurde 2024 erstmals in den Philippinen stationiert, später in Australien getestet – inklusive eines scharfen SM-6-Abschusses.

Insgesamt plant die US Army fünf Batterien, von denen drei bereits ausgeliefert wurden. Ab 2026 soll Typhon erstmals in Europa stationiert werden, vermutlich im Raum Wiesbaden. Für Deutschland bedeutet das zweierlei: einerseits die mögliche Beschaffung eigener Systeme, andererseits die Präsenz US-amerikanischer Batterien im Rahmen der Abschreckung. Beides erhöht die Glaubwürdigkeit der NATO und signalisiert Russland, dass Europa seine Abwehrfähigkeit stärkt.

Europas Fähigkeitslücke und die Bedeutung des ELSA-Projekts

Europa arbeitet im Rahmen des ELSA-Ansatzes an eigenen Deep-Strike-Systemen. Mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Polen, entwickeln Flugkörper mit Reichweiten über 2.000 Kilometern. Doch diese Systeme werden erst in sieben bis zehn Jahren verfügbar sein. Dadurch entsteht eine kritische Lücke, die kurzfristig gefüllt werden muss. Typhon wird genau deshalb als Brückenlösung angesehen.

Es stärkt Europas Abschreckung bereits ab den späten 2020er-Jahren. Politisch ist dieser Schritt sensibel, weil es die Abhängigkeit von den USA erneut unterstreicht. Gleichzeitig zeigt er, dass Europa langfristig eigene industrielle Kapazitäten aufbauen will. Ziel ist eine autonome Produktion von tausenden Präzisionswaffen. Damit könnte Europa künftig unabhängig operieren und zugleich die NATO stärken. Die Kombination aus kurzfristigem Capability-Gap-Filling und langfristigem Technologieaufbau ist strategisch zentral.

Produktionsengpässe und das Nadelöhr Stückzahlen

Die größte Herausforderung liegt nicht in der Technik, sondern in der Produktionskapazität. Deutschland verfügt aktuell über etwa 600 Taurus-Marschflugkörper, aber weit weniger moderne Alternativen. Die USA produzieren minimal rund 90 Tomahawks pro Jahr. Bei einer realen Nachfrage aus mehreren Staaten reicht dies kaum aus. Zudem beträgt die Wartezeit für Neubestellungen zweieinhalb bis drei Jahre. Ein deutscher Auftrag im mittleren dreistelligen Bereich könnte schnell fünf Jahre dauern.

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Das ist problematisch, da der Bedarf Europas realistisch im hohen dreistelligen bis vierstelligen Bereich liegt. SM-6-Flugkörper sind noch schwieriger verfügbar, weil die Nachfrage der US-Navy Priorität hat. Diese Produktionsengpässe machen deutlich, dass Typhon zwar eine wichtige Brückenlösung ist, aber nicht allein auf US-Kapazitäten gestützt werden kann. Eine europäische Produktionsbasis bleibt zwingend erforderlich.

Warum Typhon für Deutschlands Abschreckung zählt

Typhon vereint Reichweite, Präzision und Mobilität – drei Faktoren, die moderne Abschreckung maßgeblich definieren. Es ermöglicht der Bundeswehr, strategische Infrastruktur eines Gegners in großer Entfernung gezielt auszuschalten. Ein solcher Fähigkeitssprung erhöht die Kosten eines Angriffs für potenzielle Gegner erheblich. Gleichzeitig zeigt Typhon Europas Bereitschaft, die eigene Verteidigungsfähigkeit auszubauen.

Doch der Blick auf die Lieferzeiten zeigt eine weitere Realität: Die Beschaffung allein wird nicht reichen. Europa braucht eine langfristige industrielle Basis, die große Mengen Deep-Strike-Munition liefert. Nur dann kann bis 2029 eine glaubwürdige Abschreckung entstehen. Typhon ist daher Wegbereiter und Warnsignal zugleich: Wegbereiter einer neuen Militärarchitektur und Warnsignal vor den derzeitigen Kapazitätsgrenzen. Deutschland setzt mit Typhon ein strategisches Zeichen für die Zukunft.

Fazit

Typhon markiert einen Wendepunkt für die deutsche Sicherheitspolitik. Das System schließt kurzfristig eine kritische Fähigkeitslücke und stärkt die Abschreckung im Bündnis. Gleichzeitig zeigt es, wie weit Europa noch vom Aufbau eigener Deep-Strike-Kapazitäten entfernt ist. Ohne massive Investitionen in Produktion und Technologie droht eine langfristige Abhängigkeit von den USA. Typhon ist deshalb mehr als ein neues Raketensystem – es ist ein strategisches Signal, dass Deutschland bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.

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